Tango Metropolis at IHK Galerie, Siegen, 2004

Tango Metropolis

February 12 - May 7,2004
IHK-Galerie, Siegen, Germany

Thomas Kellner: "Tango Metropolis", Fotoarbeiten

IHK-Galerie 12. Februar bis 7. Mai 2004 in Zusammenarbeit mit der Galerie Am Alten Garten, Wolfgang John.

Rede zur Vernissage am 12. Februar 2004, 19 Uhr

Juergen Raap, Kunstkritiker, Koeln

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich begruesse Sie recht herzlich hier in der IHK Siegen zur Ausstellung von Thomas Kellner. Sie traegt den Titel "Tango Metropolis". [Dass diese Ausstellung heute abend hier stattfindet, hat seinen besonderen Grund: Der Fotograf Thomas Kellner lebt naemlich hier in Siegen.] Die Ausstellung umfasst Arbeiten, die der Architekturfotografie im weitesten Sinne zuzuordnen sind. In diesem Genre gibt es beruehmte Vorbilder - Sie alle kennen bestimmt die Dokumentation einer Typologie von Fachwerkhaeusern von Bernd und Hilla Becher aus den sechziger Jahren. Doch Thomas Kellner ist nicht so sehr an der Typologie einer Bauform in all ihren historischen und stilistischen Facetten interessiert, sondern mehr an der Mythologie, die ein beruhmtes Gebaeude transportiert, und seien es auch nur die Trivialmythen des Touristenzeitalters.

 

Die ueberlieferten Monumente der Antike und die Sehenswuerdigkeiten der Neuen Welt funktionieren vor allem deswegen als Attraktionen der Tourismusindustrie, weil das angelernte Bildungsvvissen, Reiseliteratur, Film und Fernsehen ein Bild ueber die Alhambra in Granada und die New Yorker Brooklyn Bridge laengst vorgepraegt haben, bevor wir uns diese Orte selbst anschauen. Es gibt keine groessere bildliche Beharrlichkeit als jene, die uns die Urlaubspostkarte suggeriert. Zwar ist der Himmel manchmal wirklich so blau und der romantische Sonnenuntergang tatsaechlich von solch kitschigen Farben begleitet wie auf jenen Ansichtskarten. Wir nehmen jene Motive als wahrhaftig an, obwohl wir insgeheim wissen, dass kraeftig retuschiert und koloriert wurde - es sind die Luegen der Fotografie, die hier verbreitet werden. Thomas Kellner befragt den Wahrheitsgehalt solcher Bilder, indem er sie zerlegt, in eine Folge von Einzelbildern aufgliedert. Wir kennen dies gemeinhin als Prinzip des Kontaktabzugs, aber hier verbindet sich dieses Prinzip mit einem Prozess des bildnerischen Sezierens und Analysierens. Thema ist nicht der Baukoerper an sich, sondern dessen mythologische und manchmal auch ideologische Aufladung, welche die bereits bekannten Bilder von diesem Bauwerk transportieren. Die Bilder zeigen durchweg bekannte Bauwerke und Stadtansichten - die Plaza Espana und die Stierkampfarena in Madrid oder dort auch das Museum Reina Sofia. Jeder kennt Antonio Gaudis Kathedrale La Sagrada Familia in Barcelona und hat anschliessend in Barcelona auf der beruehmten Placa Real mit ihren neo-barocken Arkadenboegen ein kuehles Bier geschluerft, mit entspanntem Blick auf die Palmen in der Mitte des Platzes, die dem muessigen Flaneur Schatten spenden. Wir haben beim Anblick der Sears Tower oder der Marina Towers von Chicago den zuegigen Wind gespuert, der vom Michigan See her durch die Haeuserschluchten pfeift, doch von dieser realen OErtlichkeit wollen die Fotografien von Thomas Kellner nichts erzaehlen.

 

Manchmal durchbricht aber schon die Wahl einer fuer den Durchschnittstouristen ungewoehnlichen Tageszeit die Vertrautheit mit dem Motiv:  Das Guggenheim Museum in Bilbao hat Kellner bei Sonnenaufgang und bei Sonnenuntergang aufgenommen - das sind hoechst ungewoehnliche Zeiten fuer einen Museumsbesuch, denn da schlummert der Reisende  normalerweise noch wohlig in seinem Hotelbett oder vergnuegt sich abends in einer Tapas-Bar. Man kann an den Panoramapunkten Pauschaltouristen beobachten, die "Europa in zehn Tagen" gebucht haben und in ihrem Reisefuehrer abhaken, was sie gerade fotografiert haben. Lohnt es sich eigentlich ueberhaupt noch, in New York den Times Square zu fotografieren? Ueber den  Schauspieler Erik Ode, der in den siebziger Jahren den Kommissar in der gleichnamigen TV-Serie spielte, hatte ein zeitgenoessischer Kritiker gelaestert, er kaeme mit einem einzigen Gesichtsausdruck aus. Ode verteidigte seine sparsame Mimik mit dem Argument, er habe in all den Jahrzehnten seiner Schauspielerkarriere so oft vor der Kamera gestanden, dass sein Gesicht inzwischen leer fotografiert sei. Ist nicht auch die Skyline von Lower Manhattan laengst leer fotografiert? Und geht solch eine bildliche Entleerung nicht in paradoxer Weise einher mit einer Bilderflut, mit der eine Ueberfulle an Informationen auf uns eindrischt? Das Zappen mit der Fernbedienung und die zvveistuendige Stadtrundfahrt sind typisch fuer das Rezeptionsverhalten in der heutigen Zeit. Der Philosoph Paul Virilio beschreibt die Postmoderne mit den Vektoren der Beschleunigung - das sind die elektronisch-digitalen Kommunikationstechnologien des Medienzeitalters und die optimierte Transportlogistik mit Charter Jets, Hochgeschwindigkeitszuegen und Kuehlcontainern. Dadurch sind die geografisch-raeumliche Welt und die saisonale Zeit logistisch zusammengezogen worden - wir koennen in wenigen Stunden in Brasilien oder Australien sein, wo jetzt Hochsommer herrscht, und wir koennen jetzt hier in Deutschland mitten im Winter frische Erdbeeren aus AEgypten und Kirschen aus Chile kaufen.

 

Das bleibt nicht ohne Einfluss auf unser Bewusstsein. In jenem Masse, wie die Welt logistisch zusammengezogen wird, erweitert sich gleichzeitig der Erfahrungsraum auch fuer die Daheimgebliebenen, nicht physisch, aber medial.  Das Internet ist ein weiterer Vektor der Beschleunigung im Sinne Virilios, und die kurzen, schnellen,  abgehackten Schnitte der Videoclips liefern fuer die Optik dieses Lifestyles die zeitgemaeBe medienaes- thetische Ausstattung. Insofern sind auch Thomas Kellners Stadtansichten eine hoechst zeitgemaeBe Form des Panoramabildes.  Kellner loest die touristische Bildwirklichkeit auf - indem er die Bilder in collagenhaft verschachtelte  Fragmente zerlegt. Und dabei dynamisiert er die an sich ja statische Architektur in eigenartigen Kippungen - es kommt Bewegung ins Bild, obwohl ja Architektur etwas voellig Statisches ist.  Manchmal wirken die Bilder wie Puzzles, die "nicht richtig" zusammengesetzt wurden; - man denkt bisweilen an die Formzersplitterung der Kubisten oder an die Verschachtelungen konstruktiver Flaechen bei Lionel Feininger oder in der Malerei des Futurismus. Kellner setzt also Stilmittel ein, die uns an die AEsthetik der Malerei, der Collage bzw. der Grafik erinnern, ohne jedoch das Fotospezifische dieser multiperspektivischen Bilder zu kaschieren. Die Water Towers von Chicago bekommen auf diese Weise eine voellig neue Form zugewiesen. Beim  Empire State Building entsteht ebenfalls an der Oberflaeche eine voellig neue Ornamentalitaet, und die glitzernden Leuchtreklamen am Times Square verdichten sich zu neuen komplexen Bildelementen - manche Sequenzen aehneln den blinkenden Pop-Ornamenten auf den Glasscheiben von Spielautomaten. Letztlich erinnert bei diesen montagehaften Bildern nichts mehr an die Motive, wie wir sie aus der Postkartenfotografie kennen. Thomas Kellner zerstoert die Aura der Souvenirbuden-Kultur. Mit dieser bildnerischen Fragmentierung verweist Kellner auf die Tatsache, dass der trivialmythische Gehalt solcher Motive keine Wirklichkeit repraesentiert, sondern nur ein Surrogat von Wirklichkeit.

 

Die kulturelle Bedeutung eines Gebaeudes hat nichts mit seiner realen architektonischen Erscheinung zu tun. Und manchmal bedarf es noch nicht einmal einer konkreten architektonischen Fassung, da ja die Mythologisierung immer ein Ergebnis von Fiktion ist: Im Jahre 2002 stellte in Berlin der Kuenstler Stefan Michael an der Siegessaeule ein Schild auf, hier laege der Eingang zum "Fuehrerbunker". Die meisten Touristen glaubten tatsaechlich, hier handele es sich um ein offizielles Schild der Berliner Behoerden, und man koenne den Bunker noch besichtigen. Dieser Bunker ist - so erklaerte der Kuenstler zu seiner Aktion, "... ein Unort irgendwo jenseits der Geschichte, oertlich nicht markiert". Man wollte von vorneherein vermeiden, dass der einstige Befehlsbunker zum Wallfahrtsort wurde. Deswegen gibt es dort einen solchen Eingang nicht. Die Topografie des Terrors ist das schauerliche Gegenbild zu den Touristenattraktionen - manchmal fallen auch beide Kategorien zusammen: Nach dem Attentat auf das New Yorker World Trade Center am 11. September 2001 hatte sich der Rauch ueber "Ground Zero" noch nicht verzogen, als dort schon die ersten fliegenden Souvenirhaendler mit frisch bedruckten T-Shirts auftauchten. In der historischen Bedeutung mancher Denkmaeler faellt Heroisches und Traumatisches zusammen -das ist immer eine relative und subjektive Sicht der Dinge. Thomas Kellner hat Monumente und Stadtsituationen fotografiert, die als Attraktion gelten, doch in seiner bildnerischen Obduktion zeigt sich, dass diese Gebaeude oftmals fuerchterlich banal sind, auch wenn der Bauherr einen Star-Architekten beauftragt hat. Was Kellners Ansicht vom Wacker Drive oder vom Thompsoncenter in Chicago kommuniziert, ist ein architektonischer Zeitgeist, der sich auch anderswo materiell manifestiert hat. Es ist ein Charakteristikum der modernen Architektur, dass ihr Bekenntnis zum Funktionalismus eine aesthetische Standardisierung hervorgebracht hat.

 

Die angebliche architektonische Einmaligkeit des jeweiligen Monuments verliert sich nicht voellig, aber sie relativiert sich in Thomas Kellners Fotoarbeiten gruendlich. Er fuegt nach dem Prinzip der Collage und Montage Detailaufnahmen zu einem panoramahaften Ganzen zusammen - das einzelne Detailbild hat in der Regel noch einen realistischen Abbildcharakter, aber das Gesamtbild zeigt eine Verzerrung und Verfremdung durch die bereits ervvaehnte Kippung der Vertikalen,  -   durch die Rhythmik des Rasters, die eben nicht der rhythmischen Proportionalitaet der tatsaechlichen Fassadengliederung entspricht und durch die dabei entstehende Ornamentik, die beim Bild vom New Yorker Flat Iron Building fast schon wie ein Schlangenmuster aussieht. Und gerade mit dieser Ornamentik, mit diesem Collagecharakter, grenzt sich Thomas Kellner von der Stereotypie der Postkartenfotografie und von der dokumentarischen Bildaesthetik der klassischen Architekturfotografie ab. Verliert sich die Bedeutsamkeit, wenn kein Wiedererkennen mehr moeglich ist? Sind die solchermaBen verfremdeten Marina Towers in der hier praesentierten Ansicht nur noch irgendein Gebaeude? Im Alltag erweist sich der Mythos als beharrlich - und er wird sogar transponiert, weil der Begriff "Wolkenkratzer" mit seinem Streben gen Himmel einen Fortschrittsoptimismus verkoerpert So nennt der Volksmund die Ansammlung von Hochhaeusern im Frankfurter Bankenviertel Mainhattan. - man kann in diesem Streben gen Himmel aber genauso gut einen Ausdruck von faustischer Vermessenheit sehen - es ist halt alles eine Frage des Blickwinkels. Damit moechte ich schliessen. lch danke fuer Ihre Aufmerksamkeit.

 

© Copyright: Juergen Raap 2004