Black & White in the exhibition Großstadt-Symphonie
Die hungrigen Gespenster und die klassischen Werke Thomas Kellners
Die Anfänge von Thomas Kellner
Im Jahr 1997 nahm Fotokünstler Thomas Kellner sein erstes Bild für seine Black & White Serie auf. Beim Fotografieren dekonstruierte er den Eiffelturm der romantischen Stadt Paris und brachte ihn geschickt zum Tanzen. Was viele jedoch nicht wissen, ist, dass Kellners allerersten Werke schon während seiner damaligen Tätigkeit als Kellner entstanden sind. Er experimentierte herum und nahm sich ein Haus aus der Nachbarstadt Netphen als Vorlage, welches er in drei Teile zerlegte. Des Weiteren zog es ihn nach Köln, wo er den Kölner Dom in hunderte Elemente zerteilte.
Seine schwarz-weiße Vergangenheit entwickelte sich zu einer multiperspektivischen und dekonstruktivistischen Bildsprache, die als sequenzielle Montage auf Kontaktbögen des Roll- und 35mm Films funktioniert.
Die Schwarzweißfotografie verbreitete sich erstmals im Jahre 1871 und entwickelte sich zum ersten großformatigen visuellen Medium. Bevor die Farbfotografie in den 1930er Jahren die Schwarzweißfotografie einnahm, war diese die dominierende Form der Kulturgeschichte.
Black & White Serie
In seiner Black & White Serie konzentriert Kellner sich auf architektonische Wahrzeichen aus aller Welt. Zuerst waren die Kompositionen kleiner, in denen er weniger Filme verwendete, doch als er sich in die USA expandierte, nahmen auch seine Bilder an Größe zu. Das Auffällige ist dabei das Verhältnis der Größen, in seinen kleinen Werken betonen die Objekte ihre Flexibilität in Bewegung, wohingegen die Größeren weniger Temperament beweisen.
Sein bekanntestes Werk der Black & White Serie ist der Eiffelturm Frankreichs, der in Höhe aus neun Aufnahmen und in Breite aus fünf Aufnahmen besteht. Die Abbildung der Zelluloidstreifen lässt das Kunstwerk mit einem Gitter erscheinen, wodurch die meisten Menschen vermuten würden, Kellner hätte lediglich das fertige Bild zerschnitten und dann mit kubistischen Merkmalen zusammengeführt. Der Negativrand der Filmstreifen bildet das Gitter, das sich mit den dunklen Schatten des Bildes verbindet und im Erscheinungsbild verschmilzt. Dadurch werden die abstrakten Gedanken viel besser lesbar als in seinen Farbfotografien.
Was Kellner in seiner Kunst genau macht, mag für den Betrachter nicht zuerst logisch sein. Er sucht sich ein bekanntes Gebäude aus, fertigt eine Skizze vor Ort an und fotografiert dann jedes einzelne Detail, was später anhand der Filmstreifen als ein zusammengesetztes Bild wirkt. Durch das Zerteilen des Objekts, das schon beim Fotografieren stattfindet, nimmt seine Kunst an kubistischen Besonderheiten zu. Beim Ablichten des Bildes mortifiziert Kellner den Moment. Er entfernt die Zentralperspektive und hält das Leben im eingefrorenen Bild an. Dabei mögen einige seiner Kunstwerke so aussehen, als sei das große architektonische Wahrzeichen umgeben von Leere oder aber genau das Gegenteil, Menschen verlieren plötzlich ihre Beine oder Köpfe sind abhandengekommen.
Begriff Medium
Die Fotografie gilt seit 1826 als eines der meistgenutzten Medien, welches uns auch heute im ständigen Fluss des Lebens begleitet. Jeder hat sein Smartphone parat, wenn es darum geht, einen besonderen Moment festzuhalten. Bilder sorgen für eine Überflutung in den sozialen Medien und das berühmte Sprichwort Ein Bild sagt mehr als tausend Worte gewann an Popularität. Doch wofür steht eigentlich der Begriff Medium? Die Definition lässt sich aus dem lateinischen ableiten, welches so viel wie Mittelpunkt heißt. Wenn man dies jedoch elaboriert, steht das Medium für das Vermittelnde. Es ist die Anwesenheit eines Abwesenden. Laut Brockhaus von 1911 bedeutet Medium: „Mitte, Mittel, etwas Vermittelndes […] im Spiritismus die Geistermanifestationen vermittelnde Person“ (Medium, in: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, 2 Bde., fünfte Auflage. Leipzig 1911, Bd. 2, S. 155). Wir wissen, dass etwas anwesend oder abwesend ist und es etwas Drittes nicht gibt. Das Gespenst ist jedoch eine Figur des Dritten, welches rational getrennte Sphären miteinander verbindet. Auch in der Religion begegnet uns die dritte Figur – Der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Würde man nun die Zeitgespenster mit den Medien vergleichen, hieße es in unserem Kontext mit der Fotografie, dass Gespenster (und Bilder) die gesellschaftlichen und kulturellen Phänomene im Umgang mit dem Unerklärbaren und Verdrängten widerspiegeln.
Schon der berühmte Schriftsteller Franz Kafka war davon überzeugt, dass Geister nicht verhungern werden. So hieß es in seinem Brief an seine Vertraute, Milena: „Man kann an einen fernen Menschen denken und einen nahen Menschen fassen. Alles andere geht über Menschenkraft.“ (Kafka, Franz: Frühlingsaufsatz: Milena Jesenká, "Klobouky na jaro. Dopis z Vidn?", Nr. 47 (2. 4. 1922), S. 1 f.) Für Kafka hieß es unter der Benutzung eines Mediums, dass man sich entblöße, worauf die Gespenster mit Gier warten würden. Schließlich kommt uns das alles ein wenig bekannt vor, wenn wir ein Medium benutzen, sei es einen Brief schreiben, eine Nachricht über Facebook verschicken oder aber eine Verfilmung eines berühmten Buches schauen, dass der Kontext und die Vermittlung modifiziert wird.
Und genau dieser Vorgang wird in Kellners Werken zum Vorschein gebracht. Er rekonstruiert das Gebäude absichtlich auf einer gewissen Weise, damit wir es aus anderen Perspektiven betrachten können. Dadurch sehen wir uns jedes einzelne Bild genau an und Thomas Kellner erweckt die Neugierde in uns, sich den Weg zu den Sehenswürdigkeiten zu erschaffen und die besonderen Merkmale Kellners Kunstwerke zu untersuchen. Um damit wieder die Mortifikation in der Fotografie aufzugreifen, zerstört Kellner nicht die Welt, er belebt vielmehr totes Material und verändert damit den Blick auf die Sehenswürdigkeiten (vgl. Langer, Freddy: Ein Turm beginnt zu tanzen, in: Frankfurter Allgemeine, 14.01.2016, S. R6).